In einer am 18. Juli 2025 bekannt gewordenen Entscheidung vom 11. Dezember 2024 (8 W 306/21) bleibt das Oberlandesgericht Stuttgart bei seiner bisherigen Rechtsprechung vom 27. Juli 2021 (8 W 64/21). In beiden Entscheidungen folgte das Gericht unserer Argumentation, wonach ein Pflichtteilsberechtigter nur dann übergangen ist, wenn er weder mittelbar noch unmittelbar bei der Verteilung des Nachlasses berücksichtigt worden ist.
Die nach der Errichtung des notariellen Testaments von 1991 geborene weitere Tochter des Erblassers konnte dieses gemäß § 2079 Satz 1 BGB nicht wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten anfechten, da der Erblasser ihr in einem späteren Testament ein Vermächtnis zugewendet hatte.
Aktenzeichen OLG Stuttgart: 8 W 306/21
Aktenzeichen AG Böblingen: 63 VI 2010/19
Beschluss
In der Nachlasssache
(…), verstorben am (…)2019, zuletzt wohnhaft: (…) – Erblasser –
mit den Beteiligten:
1) (…) – Tochter, Erbprätendentin – (…Verfahrensbevollmächtigte…)
2) (…) – Tochter, Erbprätendentin – (…Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Frank Felix Höfer, Gänsheidestraße 35, 70184 Stuttgart, (…)
3) (…) – Tochter, Erbprätendentin –
4) (…) – Ehefrau, Antragstellerin und Beschwerdeführerin –
5) (…) – Tochter, Erbprätendentin
– (…Verfahrensbevollmächtigte zu 4) + 5)…)
6) (…) – Testamentsvollstrecker –
wegen Nachlassbeschwerde
hat das Oberlandesgericht Stuttgart – 8. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht (…), den Richter am Oberlandesgericht (…) und die Richterin am Oberlandesgericht (…) am 11.12.2024 beschlossen:
1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 4 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Böblingen vom 20. Juli 2021, Az.: 63 VI 2010/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beteiligte Ziffer 4 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 626.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der am (…) 2019 verstorbene Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und in zweiter Ehe seit dem (…) 2005 mit der Beteiligten Ziffer 4, die im Zeitpunkt der Eheschließung ukrainische Staatsbürgerin war, verheiratet. Die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 3 sind seine Kinder aus erster Ehe. Die am (…) 1996 geborene Beteiligte Ziffer 5 ist das gemeinsame Kind des Erblassers und der Beteiligten Ziffer 4. Mit Erklärung vom (…) 1997 hat der Erblasser gegenüber dem Kreisjugendamt Böblingen die Vaterschaft zu der Beteiligten Ziffer 5 anerkannt.
Der Erblasser hat am 6. November 1990 ein privatschriftliches Testament errichtet, in welchem er seine Töchter aus erster Ehe, die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 3, zu seinen Erben bestimmt hat.
Mit notariellem Testament vom 12. April 1991 (…) hat der Erblasser alle bisher errichteten Verfügungen von Todes wegen widerrufen, seine Töchter aus erster Ehe jeweils mit einem Erbanteil von einem Drittel zu seinen Erben bestimmt und Testamentsvollstreckung angeordnet. Nach dem Willen des Erblassers sollte das zuständige Nachlassgericht einen geeigneten Testamentsvollstrecker ernennen.
Am 28. August 2009 errichtete der Erblasser in der Ukraine vor der Privatnotarin des städtischen Notarkreises Poltawa Frau (…) ein Testament, in welchem er den ihm zur Hälfte gehörenden Teil einer in der Stadt Poltawa in der Ukraine befindlichen Wohnung unter der Adresse (…) nach seinem Tod der Beteiligten Ziffer 4 – ersatzweise der Beteiligten Ziffer 5 – vermacht hat.
In einem am 17. Januar 2018 in der Ukraine vor der Privatnotarin des städtischen Notarkreises Poltawa Frau (…) errichteten Testament vermachte der Erblasser den oben bezeichneten Wohnungsanteil nun der Beteiligten Ziffer 5. Dieses nur in Kopie vorliegende Testament hat das Nachlassgericht am 19. Juli 2021 (Blatt 244 der Akte) eröffnet.
Ferner liegt eine maschinenschriftlich verfasste E-Mail des Erblassers vom 2. August 2018 vor, die er am 16. März 2018 der Beteiligten Ziffer 3 unter dem Betreff „Testament-Entwurf von (…)“ zugeleitet hat. Darin hat der Erblasser u.a. geäußert, dass „seine vier leiblichen Kinder seine Haupterben sein sollen“, er und die Beteiligte Ziffer 4 seit Februar 2017 getrennt leben würden und sich die Beteiligte Ziffer 4 als seine Noch-Ehefrau selbst aus dem „Erbe-Spiel“ genommen habe.
Die Beteiligte Ziffer 5 hat mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Januar 2020 das notarielle Testament vom 12. April 1991 nach §§ 2079, 2080, 2081 BGB angefochten, da der Erblasser dieses zu einem Zeitpunkt errichtet habe, als sie als seine pflichtteilsberechtigte Tochter, noch nicht geboren war. Dies habe zur Folge, dass gesetzliche Erbfolge eintrete.
Mit Beschluss vom 8. Januar 2021 hat das Nachlassgericht den Beteiligten Ziffer 6 zum Testamentsvollstrecker bestimmt, der das Amt des Testamentsvollstreckers mit Erklärung zur Niederschrift des Amtsgerichts Böblingen am 12. Januar 2021 annahm.
Am 8. April 2021 beantragte die Beteiligte Ziffer 4 zur Niederschrift des Amtsgerichts Böblingen die Erteilung eines Erbscheins, wonach ausgehend von der gesetzlichen Erbfolge und eines Güterstands der Zugewinngemeinschaft nach deutschem Recht die Beteiligte Ziffer 4 als Ehefrau des Erblassers zur Hälfte und die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 2, Ziffer 3 und Ziffer 5 mit einem Erbanteil von jeweils einem Achtel Erben des Erblassers geworden seien.
Die Beteiligte Ziffer 1 beantragte mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 6. Mai 2021, den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziffer 4 zurückzuweisen. Sie machte im Wesentlichen geltend, dass die Anfechtung des notariellen Testaments vom 12. April 1991 durch die Beteiligte Ziffer 5 wirkungslos sei; denn der Erblasser habe das Testament vom 12. April 1991 gerade in Kenntnis der Existenz der Beteiligten Ziffer 5 aufrechterhalten wollen.
Auch die Beteiligte Ziffer 2 hat mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 31. Mai 2021 beantragt, den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziffer 4 zurückzuweisen, da die Beteiligte Ziffer 5 nicht im Sinne des § 2079 BGB übergangen sei. Der Erblasser habe ihr ein Vermächtnis zugewandt. Überdies habe der Erblasser sein Testament vom 12. April 1991 mit der darin vorgenommenen Erbeinsetzung absichtlich weiter bestehen lassen.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Böblingen hat mit Beschluss vom 20. Juli 2021 den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziffer 4 vom 8. April 2021 zurückgewiesen, da die Voraussetzungen des § 2079 BGB für eine Anfechtung des notariellen Testaments vom 12. April 1991 nicht vorlägen. Die Beteiligte Ziffer 5 sei im Sinne der vorgenannten Vorschrift als Pflichtteilsberechtigte nicht übergangen worden, da ihr der Erblasser im Testament vom 17. Januar 2018 ein Vermächtnis zugewandt habe. Ferner habe der Erblasser seinen Testamentsentwurf vom 8. Februar 2018/16. März 2018 nicht mehr umgesetzt. Es sei daher davon auszugehen, dass der Erblasser die mit Testament vom 12. April 1991 getroffene Erbeinsetzung bewusst nicht mehr geändert habe, weil sie weiterhin seinem Willen entsprochen habe.
Die Beteiligte Ziffer 4 hat gegen diesen Beschluss mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 19. August 2021 Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, dass nach § 2079 Satz 2 BGB die Anfechtung nur dann ausgeschlossen sei, soweit anzunehmen sei, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde. Es spreche nichts dafür, dass der Erblasser die Beteiligte Ziffer 5 habe enterben wollen. Der Erblasser habe mit dem Testament vom 17. Januar 2018 lediglich klare Verhältnisse für seinen Miteigentumsanteil an der in der Ukraine liegenden Wohnung regeln wollen. Der Erblasser habe die Beteiligte Ziffer 5 im Verhältnis zu den Töchtern aus seiner ersten Ehe immer gleich behandeln wollen. Dies ergebe sich auch aus einem maschinengeschriebenen, vom Erblasser nicht unterzeichneten „Schriftstück“, in welchem er alle Töchter zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt habe. Dieses Schreiben habe die Beteiligte Ziffer 3 im Wohnzimmer des Erblassers gefunden.
Die Beteiligte Ziffer 1 beantragte mit Schreiben vom 26. November 2021, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie machte geltend, dass die Beteiligte Ziffer 5 als Pflichtteilsberechtigte nicht übergangen worden sei, da ihr vom Erblasser mit dem Testament vom 17. Januar 2018 ein Vermächtnis zugewandt worden sei. Eine Anfechtung nach § 2079 BGB sei damit ausgeschlossen. Überdies habe die Beteiligte Ziffer 5 lediglich das Testament vom 12. April 1991 angefochten. Selbst wenn diese Anfechtung wirksam wäre, würde sich die Erbfolge dann nach dem — nicht angefochtenen — Testament vom 6. November 1990 richten.
Auch die Beteiligte Ziffer 2 beantragte unter Aufrechterhaltung ihres Rechtsstandpunkts mit Schreiben vom 14. Dezember 2021, die Beschwerde zurückzuweisen und vertiefte in der Folge ihr Vorbringen.
Die Beschwerdeführerin beanstandete auch die vom Nachlassgericht getroffene Kostenentscheidung, da diese nicht entsprechend der Sach- und Rechtslage getroffen worden sei.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren mit Beschluss vom 24. September 2021 dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Im Übrigen wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 352 ff, 58 ff FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten Ziffer 4 hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Erbscheinsantrag vom 8. April 2021 ist unbegründet, da keine gesetzliche Erbfolge mit den von der Beteiligten Ziffer 4 benannten Erbteilen eingetreten ist. Die Beteiligte Ziffer 5 hat das notarielle Testament des Erblassers vom 12. April 1991 nicht wirksam angefochten, so dass dieses weiterhin maßgeblich die Erbfolge bestimmt. Die letztwillige Verfügung im notariellen Testament vom 17. Januar 2018 stellt als Zuwendung eines einzelnen wertmäßig untergeordneten Vermögensgegenstands gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO i.V. m. § 2087 Abs. 2 BGB ein Vermächtnis über den im Ausland belegenen Nachlass des Erblassers dar und lässt die Erbeinsetzung im notariellen Testament vom 12. April 1991 unberührt. Mit dem Errichten eines notariellen Testaments durch einen sogenannten Privatnotar in der Ukraine hat der Erblasser ersichtlich lediglich über das in der Ukraine belegene Immobiliarvermögen formwirksam von Todes wegen verfügen wollen. Das ukrainische Recht kennt als einzige Testamentsform die öffentliche (notarielle) Form (DNotI-Report 2022, 57 ff).
2. Die Voraussetzungen nach § 2079 BGB für eine wirksame Anfechtung des notariellen Testaments vom 12. April 1991 liegen nicht vor.
a. Gemäß § 2079 Satz 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, dessen Vorhandensein ihm bei der Errichtung der Verfügung nicht bekannt war oder der erst nach der Errichtung geboren oder Pflichtteilsberechtigter geworden ist.
b. Die als Abkömmling des Erblassers pflichtteilsberechtigte Beteiligte Ziffer 5 wurde erst nach Errichtung des notariellen Testaments vom 12. April 1991 am 18. August 1996 geboren und im Jahr darauf als Tochter anerkannt.
c. Ein Anfechtungsgrund nach § 2079 Abs. 1 BGB ist – entgegen der Auffassung der Beteiligten Ziffer 4 und Ziffer 5 – nicht gegeben, weil der Erblasser die Beteiligte Ziffer 5 im Testament vom 17. Januar 2018 mit einem Vermächtnis bedacht und daher nicht übergangen hat.
(1) Die in der Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegende Meinung bejaht ein Übergehen des Pflichtteilsberechtigten nur dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt noch mit einem Vermächtnis bedacht ist (BayObLG ZEV 1994, 106 (107); OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454; OLG Stuttgart [Senat] Beschluss vom 27.07.2021 – 8 W 64/21; BeckOK BGB/Litzenburger, 72. Ed. 1.11.2024, BGB § 2079 Rn. 3; BeckOGK/Harke, 1.10.2024, BGB § 2079 Rn. 11; Münchener Kommentar zum BGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 5; Burandt/Rojahn/Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 16; Staudinger/Otte (2019) BGB § 2079, Rn. 8).
(2) Der Senat folgt – wie auch in der Entscheidung vom 27. Juli 2021 (8 W 64/21) – dieser Auffassung. Der Sprachgebrauch und der daraus abzuleitende Wortsinn, wonach eine Person nur dann übergangen ist, wenn sie weder mittelbar noch unmittelbar bei der Verteilung des Nachlasses berücksichtigt worden ist, spricht für eine objektive Auslegung des Begriffs. Der Umstand, dass eine Anfechtung den Willen des Erblassers vernichten würde, gebietet eine enge Auslegung. Oft sind – wie auch vorliegend – im Testament Abkömmlinge aus einer früheren Ehe als Erben eingesetzt. In einem solchen Fall kann es keinesfalls als Regel unterstellt werden, dass der Erblasser die oft wohlüberlegte letztwillige Verfügung anders abgefasst hätte, wenn er den Umstand einer späteren Heirat in seine Überlegungen einbezogen hätte (BayObLG a.a.O.).
(3) Auch der Umstand, dass vorliegend der Wert des vermächtnisweise zugewandten Eigentumsanteils an der Wohnung in Poltawa mit 18.604,00 € (vergleiche Nachlassverzeichnis vom 26. Juni 2021, Blatt 255 ff der Akte) hinter dem gesetzlichen Erbteil in Höhe von gerundet 78.354,00 € (1/8 von 626.832,09 €) zurückbleibt, verhilft der Anfechtung gem. § 2079 BGB nicht zum Erfolg.
Vereinzelt wird ausnahmsweise ein Übergehen des Pflichtteilsberechtigten dann bejaht, wenn er nur eine ganz geringfügige Zuwendung erhalten hat (OLG Karlsruhe ZEV 1995, 454). Der Senat folgt insoweit der in der Rechtsprechung überwiegend restriktiven Auslegung der Vorschrift, welche die Anfechtbarkeit auch dann verneint, wenn der Berechtigte mit einem unter dem Erbteil liegenden Erbe oder Vermächtnis bedacht worden ist (RGZ 50, 238 (239 f.); RGZ 148, 218 (223); BayObLG ZEV 1994, 106 (107); OLG Hamm NJW-RR 1994, 462; OLG Celle NJW 1969, 101; Staudinger/Otte, 2019, Rn. 10 mwN; BeckOK BGB/Litzenburger, 72. Ed. 1.11.2024, BGB § 2079 Rn. 5; in der Tendenz ebenfalls ablehnend Münchener Kommentar zum BGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 2079 Rn. 7). Ein wertmäßiger Abgleich zwischen dem Zugewandten und dem hypothetisch anfallenden Erbteil würde in den Tatbestand des § 2078 S. 1 BGB ein dem Wortlaut fremdes quantitatives Element einführen, zumal die danach notwendige Differenzierung zwischen Zuwendungen, die den Erbteil wertmäßig überschreiten, und denen, die darunter bleiben, im Einzelfall unter Umständen erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Funktion und Systematik der Anfechtungstatbestände in §§ 2078, 2079 BGB sprechen für die von der Rechtsprechung vertretene, restriktive Auslegung. Das Anfechtungsrecht dient nicht der Sicherung der wirtschaftlichen Interessen der Pflichtteilsberechtigten, sondern soll ein Auseinanderfallen von Erblasserwille und Erklärungsinhalt verhindern. Deshalb kann es für die Anfechtung keinen Unterschied machen, ob der Bedachte mehr oder weniger erhalten hat, als ihm bei gesetzlicher Erbfolge zugestanden hätte. Entscheidend ist, ob der Erblasser bei Errichtung der Verfügung an die Person als solche gedacht hat. Nur dann, wenn er diese völlig übersehen hatte, ist die Beweiserleichterung gem. § 2079 gerechtfertigt (BeckOK BGB/Litzenburger, 72. Ed. 1.11.2024, BGB § 2079 Rn. 5).
Überdies stellt sich der Wert des Vermächtnisses mit 18.604,00 € schon nicht als „ganz geringfügig“ dar (vgl. auch BayObLG a.a.O.).
(4) Soweit die Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer Beschwerde (isoliert) auf § 2079 Satz 2 BGB verweist, wonach die Anfechtung ausgeschlossen ist, soweit an-zunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde, verkennt sie die Systematik der Regelung.
§ 2079 BGB ist ein Unterfall des in § 2078 Abs. 2 BGB bereits geregelten Motivirrtums. Es wird vermutet, dass der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten nicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen hätte, wäre ihm bei der Errichtung des Testaments dessen Existenz oder später eintretende Pflichtteilsberechtigung bekannt gewesen. Insoweit bestimmt § 2079 Satz 2 BGB, dass die Anfechtung dann ausgeschlossen ist, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde. Diese Vermutung führt – im Gegensatz zu § 2078 BGB – hinsichtlich der Kausalität zwischen Verfügung und Unkenntnis der Pflichtteilsberechtigung zu einer Beweislastumkehr. Gleichwohl setzt die Anfechtung nach § 2078 BGB immer ein Übergehen des Pflichtteilsberechtigten voraus.
Ob und welche Rückschlüsse aus der E-Mail vom 8. Februar 2018/16. März 2018 hinsichtlich des hypothetischen Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des fraglichen Testaments gezogen werden könnten, ist letztlich unerheblich. Es war daher auch nicht geboten – wie von der Beschwerdeführerin beantragt – die Beteiligte Ziffer 3 zum Inhalt der E-Mail vom 8. Februar 2018/16. März 2018 anzuhören. Es liegt kein Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten vor.
3. Das Fehlen der Voraussetzungen des § 2079 Satz 1 BGB schließt es nicht aus, eine Anfechtung auf § 2078 Abs. 2 BGB zu stützen (BayObLG a.a.O.). In diesem Fall trifft die Feststellungslast für das Vorliegen eines Willensmangels und dessen Erheblichkeit, dass der Erblasser nämlich einem Irrtum über die künftige erbrechtliche Stellung der Beteiligten Ziffer 5 unterlag und dass dieser Irrtum für die in der letztwilligen Verfügung enthaltene Willensäußerung kausal war, denjenigen, der sich auf die Anfechtung beruft (BayObLG a.a.O.; BeckOK BGB/Litzenburger, 72. Ed. 1.11.2024, BGB § 2078 Rn. 21).
Die Beteiligte Ziffer 4 behauptet zwar, der Erblasser hätte die Beteiligte Ziffer 5 mit dem notariellen Testament vom 12. April 1991 nicht enterben wollen, was jedoch noch keinen relevanten Irrtum im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB begründet. Ob und in welcher Hinsicht der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 12. April 1991 ins Kalkül gezogen hat, nochmals zu heiraten und weitere Kinder zu bekommen, ist nicht vorgetragen und lässt sich auch dem Sachverhalt nicht entnehmen. Das Verhalten des Erblassers, eine abweichende Testamentserrichtung zwar zu erwägen (vgl. E-Mail vom 8. Februar 2018/16. März 2018), aber sie auch 1,5 Jahre bis zu seinem Tod nie zu vollziehen, spricht eher gegen einen Irrtum im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB.
4. Die Kostenentscheidung des Amtsgerichts für die erste Instanz ist nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Antragsverfahren ist dem Misserfolg des Antrags besondere Bedeutung zuzumessen (MüKoFamFG, 4. Aufl. 2025, FamFG § 81 Rn. 12). Die Beteiligte Ziffer 4 ist zwar die Stiefmutter der Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 3, aber seit zumindest Februar 2017 vom Erblasser getrennt lebend. Den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten im Rahmen der Kostenentscheidung kommt somit gerade unter Billigkeitsgesichtspunkten keine tragende Rolle zu, womit der Billigkeitsgesichtspunkt des Verfahrensausgangs an Gewicht gewinnt.
Die Beschwerde war daher insgesamt zurückzuweisen.
Lediglich klarstellend ist anzumerken, dass die Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungs-beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 26. August 2021 nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens ist.
5. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 84 FamFG. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 40 Abs. 1 Ziffer 2 GNotKG und beruht auf dem Nachlassverzeichnis des Testamentsvollstreckers vom 2. August 2021.
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 FamFG). Der Senat folgt der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass von einem „Übergehen“ im Sinne dieser Vorschrift nur dann auszugehen ist, wenn der Pflichtteilsberechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht ist. Zudem liegt schon keine „ganz geringfügige“ Zuwendung vor.
