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Erbschaftsteuerliche Privilegierung von Betriebsvermögen teilweise verfassungswidrig

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 (1 BvL 21/12) war lange erwartet worden. Wie bereits von vielen Juristen vermutet, entschied das Verfassungsgericht jetzt, dass die Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar ist. Es erklärte die §§ 13a und 13b und § 19 Abs. 1 ErbStG (Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz) für verfassungswidrig. Die Verfassungsverstöße hätten zur Folge, dass die vorgelegten Regelungen insgesamt mit Art. 3 Abs. 1 GG (Grundgesetz) unvereinbar sind. Mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG setzte sich das Gericht wider Erwarten nicht auseinander.

Die Karlsruher Richter erklärten es ausdrücklich für zulässig, dass nach den 2009 eingeführten Verschonungsregeln Betriebsvermögen zu 85 Prozent, manchmal auch vollständig von der Erbschaftsteuer verschont werden kann. Privatvermögen hingegen wird – je nach Erbschaftsteuerklasse und Wert des geerbten Vermögens (abzüglich Freibetrag) – mit 7 bis 50 Prozent versteuert. Diese „enorme“ Ungleichbehandlung von Betriebs- und Privatvermögen sieht das Bundesverfassungsgericht aus Gründen des Gemeinwohls als gerechtfertigt an (Sicherung des Unternehmens und Erhalt von Arbeitsplätzen). Gegenwärtig kann Betriebsvermögen weitgehend von der Erbschaftsteuer verschont werden, wenn der Betrieb vom Nachfolger fünf Jahre fortgeführt wird und die ausgezahlten Löhne nicht dramatisch sinken. Sogar ganz von der Erbschaftsteuer verschont, wird, wer das Unternehmen sieben Jahre lang weiterführt und die Lohnsumme steigert.

Unverhältnismäßig ist die Privilegierung betrieblichen Vermögens, soweit sie über kleine und mittlere Unternehmen hinausgreift, ohne eine Bedürfnisprüfung vorzusehen. Hier erreicht die Ungleichbehandlung schon wegen der Höhe der steuerbefreiten Beträge ein Maß (oft Millionen Euro!), das ohne die konkrete Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit des erworbenen Unternehmens mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen ist. Laut Verfassungsgericht sei es Aufgabe des Gesetzgebers, präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festzulegen, für die eine Verschonung ohne Bedürfnisprüfung nicht mehr in Betracht kommt.

Ebenfalls unverhältnismäßig sei die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten (dies sind zirka 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland) von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme und die Verschonung betrieblichen Vermögens mit einem Verwaltungsvermögensanteil bis zu 50 Prozent. Solche Betriebe können daher fast flächendeckend die steuerliche Begünstigung ohne Rücksicht auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen beanspruchen, obwohl der mit dem Nachweis und der Kontrolle der Mindestlohnsumme verbundene Verwaltungsaufwand nicht so hoch ist wie teilweise geltend gemacht wird. Sofern der Gesetzgeber an dem gegenwärtigen Verschonungskonzept festhält, wird er die Freistellung von der Lohnsummenpflicht auf Betriebe mit einigen wenigen Beschäftigten begrenzen müssen.

Besonders bei der Behandlung des sogenannten Verwaltungsvermögens der Betriebe (meist Geldvermögen eines Unternehmens) fordert das Bundesverfassungsgericht gesetzliche Änderungen. Hier sieht selbst der Gesetzgeber schon seit längerem Handlungsbedarf. Schließlich gibt es keinen tragfähigen Grund, Verwaltungsvermögen zu privilegieren. Bislang konnten Unternehmer relativ einfach Privatvermögen steuerschonend ins Betriebsvermögen verschieben, wenn das Verwaltungsvermögen nicht mehr als 50 % des Betriebsvermögens ausmachte. Dies löste einen regelrechten Boom aus, bei dem viele Unternehmer ihr Privatvermögen nur aus Verschonungsgründen ins Verwaltungsvermögen ihres Unternehmens einbrachten.

Der Gesetzgeber ist aufgefordert, bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung zu treffen. Die beanstandeten Vorschriften des Erbschaftsteuergesetzes sind zunächst weiter anwendbar. Allerdings bietet die Fortgeltung der verfassungswidrigen Vorschriften keinen Vertrauensschutz gegenüber einer bis zur Urteilsverkündung am 17. Dezember 2014 rückwirkenden Neuregelung. Somit wird es auch gewieften Steuergestaltern erschwert, bis zur Neuregelung Steuersparmodelle zu entwickeln.

Experten rechnen damit, dass künftig noch mehr Großunternehmen auf gemeinnützige oder Familienstiftungen übertragen werden.

Die Entscheidung des Gerichts erging einstimmig. Drei der acht Richter gaben am Ende noch ein Sondervotum ab, in dem sie die ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland kritisieren. Die Erbschaftsteuer, sagen sie, sei ein Instrument des Sozialstaates.

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: hier

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